Bei den gestrigen Protesten in 100 brasilianischen Städten mit über einer Million Teilnehmern, die ganz überwiegend friedlich verliefen, gab es auch gewalttätige Auseinandersetzungen und einen Toten. Zu dem Todesfall sei es gekommen, so kann man auf
tagesschau.de lesen, als ein Autofahrer versucht habe, eine Menschenkette aus Demonstranten zu umfahren. Tatsächlich müsste es wohl eher "umzufahren" heißen.
Was wirklich geschieht, sieht man auf diesem Video.
Zur Erläuterung: Der Autofahrer war an eine Menschenkette geraten, die in Rahmen eines Protests die Straße blockierte. Es gab eine Diskussion zwischen den Demonstranten und dem Landrover-Fahrer, während der die Demonstranten zunächst skandierten "sem violência" - zu Deutsch: keine Gewalt - und anschließend "volta" - zu Deutsch: zurück - um ihn dazu zu bewegen, rückwärts zu fahren (die Straße hinter ihm war frei), was er zunächst auch tat, um dann aber doch wieder (langsam) vorwärts zu fahren, woraufhin er von den Demonstranten als "fdp" bezeichnet wurde und nach Polizeiangaben mindestens einen Schlag ins Gesicht bekam. Schließlich gab er Gas und fuhr ein Dutzend Menschen über den Haufen. Ein Zwanzigjähriger starb.
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Die andere Seite des Protests im Zentrum São Paulos, ganz in der Nähe unseres Büros in Sampa, nachdem die friedlichen Massen zur Avenida Paulista weitergezogen waren.
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Bei der Suche nach den Gründen für die Proteste in Brasilien wird munter nach Erklärungen gefischt. Erst hieß es, die 10 Cent der Fahrpreiserhöhungen seien Schuld, dann war es die Geldverschwendung für den Confed-Cup und die WM. Da fragt man sich doch, ob die brasilianischen Demonstranten wohl so dödelig sind, dass sie erst merken, dass Geld verschwendet wird, wenn in den Stadien schon gespielt wird. Nach den selbstgemalten Pappschilder der Demonstranten zu urteilen, geht es um Verbesserungen des Erziehungssystems, der medizinischen Versorgung und gegen Korruption und Verschwendung öffentlicher Gelder.
Die brasilianische Regierung findet die Proteste super, kann sie sich aber nicht erklären. Wahrscheinlich haben diese Kämpfer gegen die Diktatur irgendwann angefangen, an die eigene Propaganda zu glauben. Die Presidenta hat jedenfalls erst mal bei Herrn Lula angefragt, ob er da ne Erklärung für hat.
Vielleicht ist es die erste Generation nach der Rückkehr zur Demokratie mit der Verfassung 1988 oder die mit sozialen Netzwerken groß gewordene Generation, die man global und nicht lokal verstehen muss. Siehe Frankreich, Israel, Spanien und England und nicht nur Tunesien und Ägypten. Siehe occupy und blockupy. Brasilien wird im Jahr 2013 wieder von einer erfahrungsgemäß die Unterschicht besonders beeinträchtigenden Inflation bedroht, die sich unter anderem in stark steigenden Preisen für Grundnahrungsmittel und eben auch in Fahrpreiserhöhungen niederschlägt.
Auch die öffentliche medizinische Grundversorgung hat sich in der letzten Dekade nicht gebessert und ist nur als jämmerlich zu bezeichnen. Für die meisten Brasilianer gibt es für die schlechten Leistungen des Staates zwei einfache Gründe: Verschwendung und Korruption.
Dazu passen zwei Korruptionsprozesse gegen hochrangige Politiker verschiedener Parteien, unter einem einen gegen hochrangige Politiker aus dem unmittelbaren Feld Lulas, als er noch Präsident war, bei denen letztere im Jahre 2012 vom höchsten brasilianischen Gericht, dem STF (das u.a. ähnliche Aufgaben wie das BVerfG in D hat), zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden. Die meisten Brasilianer, mit denen ich darüber gesprochen habe, sind zwar erstaunt, dass es dazu gekommen ist, sind sich aber sicher, dass alles in Pizza endet, weil die politische Klasse ein undurchdringliches System geschaffen hat, in dem eine politische Einflussnahme durch die üblichen Kanäle nicht mehr möglich ist.
Solche Demonstrationen seien, so hieß es gestern in einer der Nachrichtensendungen, die einzige Form, diese Abschottung der politischen Klasse zu durchbrechen.
In Brasilien hat das durchaus Tradition. Die Demonstrationen für Direktwahlen des Präsidenten in den Achtzigern (an denen neben Lula auch viele andere Politiker des heutigen politischen Systems gehören) und gegen den ehemaligen Präsidenten Collor in den Neunzigern (dreimal dürfen sie raten, wer bei den Wahlen damals sein Gegenkandidat war) sind dafür überaus erfolgreiche Beispiele.
Bei der Gewaltfreiheit der ganz überwiegenden Mehrheit der Teilnehmer, die sich in den letzten Tagen auch wiederholt gegen gewalttätige Demonstrationsteilnehmer wandten, um Polizisten zu schützen oder den Sturm der Stadtverwaltung in São Paulo zu verhindern, fühlte man sich gar an 89 erinnert. Vielleicht ist eine Erklärung für den Umfang der Proteste daher ja auch, wie eine Reporterin gestern meinte, das zum Teil brutale Vorgehen der Polizisten bei den ersten Demonstrationen.
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Jô, der Stürmer von Atlético Mineiro, der als Ersatz für den verletzten Damião in die Nationalmannschaft gerückt war, war nicht einmal zehn Minuten im Spiel, als er von Oscar wunderbar freigespielt wurde und das dritte Tor für Brasilien erzielte. Vorher hatte Paulinho getroffen, der bei Corinthians spielt, wie schon gegen England.
Aber im Mittelpunkt stand natürlich Neymar, der von weiblichen Teenies angehimmelte Star, der vor einigen Wochen in einer brasilianischen Telenovela nur mit einem Handtuch bekleidet auf der Flucht vor einem Fan sich selbst spielte und meisten genau diesen Eindruck hinterlässt. Nach knapp 850 Minuten ohne Tor regnete es für ihn Lorbeeren. Schuld war ein Volleysonntagsschuss nach Brustablage des angeblich vom BVB umworbenen Fred.
Gelästert, gepfiffen und demonstriert wurde auch. Gelästert gegen Neymar im Training, gepfiffen gegen Blatter und Presidenta Dilma bei der Eröffnung, gegen die Japaner, wenn sie am Ball waren, und gegen die Seleção bei Quergeschiebe in der eigenen Hälfte und protestiert gegen die brasilianische Regierung vor dem Stadion, weil die Menschen sich nicht damit abfinden wollen, dass die katholischen Kommunisten an der Regierung Milliarden für Fußballstadien statt für Schulen und die medizinische Versorgung der Bevölkerung ausgeben.
Gummigeschosse und Tränengas flogen, wie seit Tagen bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen um Fahrpreiserhöhungen in mehreren brasilianischen Großstädten.
Derweil hat man im brasilianischen Fernsehen das Gefühl, dass es bereits um das Endspiel der WM im nächsten Jahr geht. Das wie tätowiert wirkende Grinsen des ansonsten eher betont sachlichen Reporters des Jornal Nacional gibt uns einen Vorgeschmack auf das, was uns hier in den nächsten 12 Monaten erwartet. Begeisterung ist Pflicht. Wie der Sieg.
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Vier Jahre musste S., einer der Nachkommen der Quilombobewohner in den Bergen, die zu den ärmsten Hunden gehören, die diese Gegend zu bieten hat, warten, bis es ihm gelang, sein krankes, schmerzendes Auge herausnehmen zu lassen. Zum Ausgleich haben sie ihn heute operiert und auch gleich nach der OP wieder entlassen.
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Der Elektriker war begeistert.
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Letzte Woche im Moloch. Jazz in der Tiefgarage eines Hinterhofs. Argentinisches Kino.
by Vladimir Golombek (17.11.14, 17:13)
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alles so bleiben, wie es ist. Alles wäre wohl...
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